Rechtsgrundlagen in der Pflege
Dr. Christian Gepart ist gebürtiger Wiener, diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger und Jurist mit Schwerpunkt auf Gesundheits-, Arbeits- und Strafrecht. Für die Johanniter in Tirol hat er zwei Fortbildungstage zum Thema Rechtsgrundlagen in der stationären Langzeitpflege und der mobilen Pflege gehalten. Im Interview spricht er darüber, wie wichtig es ist, diese Grundlagen zu kennen.
Herr Gepart, wie lange haben Sie als Krankenpfleger gearbeitet?
Mit Ausbildung? Das waren über 10 Jahre.
Und warum haben Sie sich entschlossen, zusätzlich Recht zu studieren?
Ich war mit dem Thema bereits während meiner Ausbildung als diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger in Kontakt gekommen. Da habe ich mich entschieden, ausbildungs- und später berufsbegleitend Jura zu studieren.
Mit welchem Ziel geben Sie Fortbildungen und Seminare?
Das ist in der Regel von meinen Auftraggeber:innen aus dem Gesundheitsbereich vorgegeben. Die möchten natürlich, dass ihre Pflegekräfte ihre rechtlichen Kenntnisse aufbauen, vertiefen – und aktualisieren. Gerade wenn in letzter Zeit Änderungen vorgenommen worden sind, etwa Kompetenzerweiterungen im Berufsgesetz der Gesundheits- und Krankenpflege. Mir persönlich geht es darum, die Kolleg:innen aus dem Bereich für mögliche rechtliche Problemsituationen zu sensibilisieren. Natürlich soll und will ich in diesem Rahmen keine fertigen Jurist:innen ausbilden. Aber ich will ein grundlegendes Verständnis für rechtliche Rahmenbedingungen schaffen.
Was bewirkt dieses Grundverständnis für rechtliche Rahmenbedingungen?
Das ist essenziell, um den Beruf fachlich und richtig ausüben zu können – zum Wohle der anvertrauten Klient:innen, aber auch im Hinblick auf die eigene Absicherung. Hier schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe: Wenn ich den rechtlichen Rahmen beachte, helfe ich einerseits dem/der Klient:in, damit diese/r eine fachgerechte Dienstleistung erhält. Auf der anderen Seite sichere ich mich selbst gegen Vorwürfe ab, nicht richtig gehandelt zu haben. Damit ich dieses System verstehen kann, brauche ich ein Grundwissen im Berufsrecht: Wer darf was machen unter welchen Voraussetzungen? Ich brauche ein Grundwissen im Arbeits- und Haftungsrecht: Was kann mir bei Fehlern drohen?
Aber wie orientiert man sich da am besten? Ist da nicht ein sehr begrenzter Handlungsspielraum?
Ich bin niemand, der mit erhobenem Zeigefinger vor den Teilnehmer:innen steht und sagt: Das musst du jetzt so machen, sonst wirst du eingesperrt! Sondern ich zeige auf, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit es wirklich zu einer haftungsrechtlichen Problematik kommen kann. Ganz wichtig ist es mir zu zeigen, wie solche Situationen verhindert werden können. Und da bin ich wieder beim Berufsrecht. Da stehen vor allem Vorgaben drin, wie man mit Berufspflichten umzugehen hat. Aspekte wie Diskriminierungsverbot, Sorgfaltmaßstab, Respekt gegenüber der Klient:innenautonomie, Bildungsverpflichtung, Verpflichtung zur Hilfeleistung, Dokumentations- und Verschwiegenheitspflicht, Auskunfts- und Anzeigepflichten… Ich sage immer wieder: Wenn man die Berufspflichten richtig versteht und versucht, praktisch anzuwenden, kann man eigentlich nichts mehr falsch machen.
Also reicht es nicht, um die eigenen Kompetenzen zu wissen?
Es wäre wünschenswert, wenn Gesundheits- und Krankenpflegepersonen verstärkt danach streben würden, ihren Berufspflichten nachzukommen. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Ich bemerke immer wieder, dass man sich immer zu sehr auf die Kompetenzen beschränkt, was ich machen, nicht machen oder weitergeben darf. Das grundsätzliche „Wie gehe ich vor?“ kommt ein bisschen zu kurz. Und es ist bemerkenswert, dass in den kommentierten Gesetzesausgaben zum GuKG den tatsächlichen Berufspflichten relativ wenig Raum zugestanden wird. Daher ist es mein Ziel bei den Fortbildungen, den Teilnehmer:innen genau dieses Wissen zu vermitteln.
Und was sind Umstände in der Praxis, die ein gesetzeskonformes Handeln erschweren?
Die sind sehr vielschichtig. Oft sind es ökonomische Zwänge, zum Beispiel, dass nicht ausreichend qualifiziertes Personal angestellt werden kann. Oder dass die Arbeitsplätze da wären, sich aber zu wenige Personen darauf bewerben. Manchmal scheitert es hier an den unflexiblen Rahmenbedingungen der Unternehmen. Das Eingehen auf die persönlichen Bedürfnisse der Arbeitnehmer:innen ist da wichtig. Ebenfalls möglich ist, dass das zur Verfügung stehende Personal nicht dazu motiviert werden kann, sich fachlich weiterzuentwickeln. Wenn die Organisation da nicht entsprechend eingreift, besteht Gefahr, dass nicht immer gesetzeskonform gearbeitet wird. Dann können haftungsrechtliche Probleme aufkommen – verschuldet durch Einzelpersonen.
Wie können Einzelpersonen oder Organisationen dann besser gesetzeskonform arbeiten?
Das ist glaube ich gar nicht so schwer. Mein Ansatz ist der, ganz allgemein in Gesundheitsberufen zu sensibilisieren. Und sie ermutigen, Strukturen, Prozesse und Gewohnheiten kritisch zu hinterfragen und das auch anzusprechen. Man sollte ihnen Mut zusprechen, Lösungsansätze gemeinsam mit den Verantwortlichen zu entwickeln.
Es ist ja so, dass von „oben nach unten“ delegiert wird, und eine Heimhilfe sich oft gar nicht traut, die Anordnung einer diplomierten Pflegekraft zu hinterfragen.
Aus diesem Grund soll es Fortbildung zu gesundheitsrechtlichen Themen im Rahmen der Berufsausbildung nicht nur für gehobene Berufsgruppen geben. Solche Seminare sollten auch für angehende Pflegeassistenz- und Sozialbetreuungsberufe bis hin zu den Heimhilfen offenstehen. Mein Wunsch ist, dass die Träger diese Berufsbereiche verstärkt zur Weiterbildung in diesem Feld einladen und sie darin unterstützen, sachlich zulässige Kritik üben zu dürfen. So sollte es möglich sein, rechtlich Hinterfragenswertes anonym kundzutun, ohne sofort arbeitsrechtlich belangt zu werden. Vor den Sanktionen haben viele, denke ich, Angst – und sagen im Zweifelsfall lieber gar nichts.
Und was sollte Ihrer Meinung nach aneinander angepasst werden - das Handeln der Pflegenden oder das Gesetz?
Letztendlich ist es ein Prozess, der beides umfassen muss. Ich muss, was das Handeln angeht, die Pflegenden dabei unterstützen, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu akzeptieren und zu leben. Andererseits hinkt das Gesetz mittlerweile den tatsächlich vorhandenen Kompetenzen der Pflegepersonen manchmal nach. Gerade im Bereich des gehobenen Dienstes, aber auch bei den Pflegeassistenzberufen. 2016 hat zwar eine große Novelle stattgefunden, trotzdem muss man schauen, ob die aktuelle Regelung noch zeitgemäß ist. Das ist ein Prozess, der in beide Richtungen laufen sollte.
Was raten Sie leitenden Pflegepersonen mit Anordnungsverantwortung, wenn sie zu wenig Personal haben?
Mutig, das anzusprechen (lacht). Wenn Personen mit Führungsverantwortung mit dem vorhandenen Personal das Leistungsangebot nicht wahrnehmen können, im Sinne der Klient:innen, sollten Sie das den übergeordneten Entscheidungsträgern kommunizieren. Dann kann das Angebot möglicherweise eingeschränkt werden. Gleichzeitig sollte aber auch darüber nachgedacht werden, warum das Personal fehlt. Vielleicht hat es auch mit den Rahmenbedingungen der Organisation zu tun. Oder die Attraktivität des Arbeitsplatzes ist ausbaufähig. Also Mut zur Entscheidung.
