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Mixed Reality im Praxistest

Die Johanniter testeten ein neues Mixed Reality-Trainingsprogramm, das im Rahmen des Forschungsprojekts MED1stMR entwickelt wurde. Die ersten virtuellen Einsatzübungen waren vielversprechend.

Wien,

Wir befinden uns im Forschungszentrum der Johanniter. Vier Rettungssanitäter bewegen sich durch einen Raum, am Boden liegen zwei lebensnahe, hochmoderne Simulationspuppen. Eine der Puppen atmet schwer, der Brustkorb hebt und senkt sich langsam. Die Sanitäter sind mit VR-Brille und Kopfhörern ausgestattet. An Hand- und Fußgelenken tragen sie Bewegungssensoren, die deren Aktionen auf Bildschirm übertragen. Sieht aus wie ein Spiel, ist es aber nicht.

Mixed Reality Training

Vielmehr handelt es sich um eine Einsatzübung mittels Mixed Reality. Mixed Reality bedeutet, dass virtuelle Szenarien mit realen Objekten in Echtzeit miteinander verknüpft und genutzt werden. Dabei werden innovative Technologien mit wohlbekanntem, medizinischen Notfall-Equipment aus der Praxis kombiniert.

Über die VR-Brille wird ein Busunglück in einem Tunnel eingeblendet, 20 Personen sind verletzt. Einige bewegen sich, schreien oder stöhnen. Die Sanitäter:innen sehen nicht nur die eingeblendete Szene, sondern auch alle Aktionen der Kolleg:innen. Wird an einer Simulationspuppe eine Wunde versorgt, sieht man in Echtzeit, dass die Blutung gestoppt ist. Damit können unterschiedlichste Verletzungen sehr realitätsnah simuliert und trainiert werden.

Vorteile für die Einsatzkräfte

Ob Verkehrsunfälle, Bahnunglück oder Terroranschläge – komplexe Notfallsituation mit einer hohen Anzahl an Verletzten stellen für die Einsatzkräfte eine besondere Herausforderung dar. In solchen Situationen müssen sie unter extremer Belastung rasch Entscheidungen treffen, medizinische Hilfe leisten und das Management sowie die Kommunikation vor Ort übernehmen. „Das Mixed Reality Training ist eine ideale Lösung, die Einsatzkräfte darauf bestmöglich vorzubereiten und komplizierte Szenarien vorab virtuell zu trainieren“, erklärt Georg Aumayr, Leiter des Johanniter-Forschungszentrums und verweist auf dessen Vorteile: „Im Unterschied zu realen Einsatzübungen können wir die Szenarios beliebig oft wiederholen, adaptieren und anschließend analysieren. Und das auf Knopfdruck ohne großen Organisationsaufwand!“

Interdisziplinäre Forschung

Das beschriebene Szenario ist nicht nur eine Einsatzübung der besonderen Art, sondern auch Teil des Forschungsprojekts MED1stMR (Medical First Responder Training using a Mixed Reality Approach). Es handelt sich dabei um ein neues Mixed Reality Trainingsprogramm für Einsatzkräfte, das unter der Leitung des AIT (Austrian Institute of Technology, Center for Technology Experience) gemeinsam mit 18 Partner:innen entwickelt wurde und durch das EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 gefördert wird.

Johanniter starten mit Feldversuch

Zwei Jahre lang wurde an dem Prototyp für das Mixed Reality Training gearbeitet, nun im zweiten Halbjahr 2023 bis Anfang 2024 wird dieser in insgesamt sechs Feldversuchen getestet. An den Tests nehmen rund 200 Notfallssanitäter:innen in ganz Europa teil. Start der Testwochen war Ende Juli im Trainingscenter der Johanniter in Wien.

Die groß angelegten Szenario-Simulationstrainings liefern Erkenntnisse über die Eignung der Mixed-Reality-Trainingslösung. Zusätzlich werden Daten zur Validierung des wissenschaftlichen Modells und zur Weiterentwicklung gesammelt. Ein Team erfahrener Ausbildner:innen aus dem Projekt wird die lokalen Trainer:innen nach dem Prinzip "Train the Trainer" schulen, um das erworbene Wissen weiterzugeben und die Anwendung der bewährten Ausbildungsmethoden sicherzustellen. Vier Personen pro Gruppe trainieren je zwei unterschiedliche Massenunfall-Szenarien mit Hilfe der MED1stMR-Technologie. Alle Trainingsdaten werden erfasst und können in einem Dashboard übersichtlich allen Teilnehmenden angezeigt werden.

„Das Besondere an diesem umfassenden Projekt ist, dass Einsatzorganisationen das Trainingskonzept entscheidend mitentwickelt haben. Wir sehen das Projekt MED1stMR als Startschuss, um künftig Einsatzkräfte mithilfe von neuen Technologien wie Mixed Reality und Extended Reality noch besser für medizinische Notfälle vorbereiten zu können“, erklärt Forschungsleiter Georg Aumayr.

Ziele der Praxistests

Im Feldversuch soll das Trainingstool von den Sanitäter:innen auf seine Praxistauglichkeit getestet werden. Das Feedback im Umgang mit den neu entwickelten Technologien soll Auskunft über die Akzeptanz geben und in die weitere Entwicklung einfließen. Zudem ist die Messung von Biosignalen, die Stressmessung sowie ein KI-basiertes Szenariosteuerungstool inkludiert. Anhand der Stressmessungen soll in begleitenden wissenschaftlichen Studien herausgefunden werden, wie weit das Training in der Mixed Reality-Umgebung die Leistungsfähigkeit verbessert und die Resilienz fördert.

Johanniter-Forschungsleiter Georg Aumayr ist überzeugt von den Vorteilen des Mixed Reality Trainings: „Insgesamt war die Kooperation mit anderen europäischen Einsatzorganisationen und den wissenschaftlichen und technischen Projektpartner:innen sehr wertvoll. Gemeinsam haben wir eine innovative und realitätsnahe Trainingsmöglichkeit geschaffen.“

Über MED1stMR

MED1stMR verfolgt einen multidisziplinären, agilen und auf die Enduser:innen ausgerichteten Ansatz, der die Bedürfnisse von sieben verschiedenen internationalen medizinischen Einsatzorganisationen/Trainingscentern aus ganz Europa abdeckt. Neben den Johannitern aus Österreich und den Johannitern International (Belgien) sind noch SERMAS – SUMMA (Spanien), das Hellenic Rescue Team (Griechenland), das Universitätsklinikum Heidelberg (Deutschland), das Notfalls-Traningszentrum Campus Vesta (Belgien) sowie die Region Jämtland Härjedalen (Schweden) an MED1stMR beteiligt. Insgesamt sind bei MED1stMR 18 Partner:innen aus neun Ländern involviert. MED1stMR wurde mit Mitteln aus Horizon 2020 der Europäischen Union für Forschung und Innovation finanziert. Das Projekt läuft bis April 2024.


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